Die Gänse, © Claßen Gänsezucht
© Claßen Gänsezucht

Der be­lieb­te Bra­ten aus Ba­kum


Am 11. November ist Martinstag, früher der Beginn der Fastenzeit. Die wurde mit einem Festmahl eingeläutet: der Martinsgans. Ein Produkt, das Michael und Johann-Michel Claßen aus Bakum im Oldenburger Münsterland auch heute noch züchten. Zu den Kunden des Familienbetriebs gehören der Feinkosthändler in Baden-Baden, Fernsehkoch Alphons Schuhbeck in München und die Parlamentsküche in Berlin.

Nein, sagen Vater und Sohn unisono, „Gänse sind nicht blöd.“ Ein echtes Vorurteil. Wer „dumme Gans“ sagt, hat keine Ahnung, jedenfalls nicht von Gänsen, sagt Johann-Michel Claßen, der Junior. Sicher, Gänse sind vorsichtig, das schon. Sie besitzen eine ausgeprägte soziale Intelligenz. Und sie erkennen Menschen wieder. Das sieht jeder, der mal mit Michael Claßen, dem Senior, in den Stall geht. Wenn der 66-Jährige ruft, sind die Gänse da. Nähert sich dagegen ein Unbekannter, fangen sie an zu schnattern. Das macht Sinn – so warnen sie ihre Artgenossen. Und so sollen sie der Legende nach im Jahr 372 nach Christus auch den heiligen Martin verraten haben, der sich im Gänsestall versteckt hatte, um nicht zum Bischof geweiht zu werden. Dies ist zumindest eine der Erklärungen für den Brauch, am Martinstag ein Gänseessen zu veranstalten, traditionell mit Rotkohl und Knödel.

Für die Claßens in Bakum bedeutet das: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Drei Mal im Jahr herrscht auf dem Hof Hochbetrieb. Im September ist die Zeit der Stoppelgans, die so heißt, weil sie früher nach der Getreideernte auf den Feldern noch die letzten Körner aufgelesen hat. Sie wird im Alter von neun Wochen geschlachtet, vor dem ersten Umfedern, und steht als Delikatesse bei Gastronomen hoch im Kurs, denn ihr Fleisch ist zart und saftig. Dann die Wochen vor Sankt Martin – da liefert Johann-Michel Claßen seine Gänse vor allem ins katholische Rheinland, „die klassische Gänsegegend“, beeinflusst von Frankreich und der französischen Küche. Schließlich die Adventszeit, traditionell eine Fastenzeit, an deren Ende zu Weihnachten erneut eine Gans steht – in vielen Familien ist sie die Alternative zu Kartoffelsalat und Würstchen. Selbst auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff wie der MS „Europa“ wurden schon Weihnachtsgänse aus Bakum serviert.

Alles fing damit an, dass Vater Michael Claßen 1976 den Resthof kaufte, damals noch ohne fließend Wasser und ohne Heizung. Erst schnatterten draußen nur fünf Gänse und ersparten den Rasenmäher. Schon ein paar Tage später kamen weitere fünf dazu. Alle legten sie munter Eier, etwa jeden zweiten Tag eins. Die Eier brachte Claßen zu einer Brüterei in der Nachbarschaft. Es dauerte nicht lange, und Claßen musste einen Stall für 100 Gänse bauen. Die ersten Weihnachtsgänse bestellte eine Patentante des Sohnes aus Düsseldorf. Claßen merkte: „Du rennst offene Türen ein.“ 1991 baute er seine erste Schlachterei. Anfangs fuhr er mit seinen Gänsen in die Großstädte, um sie Feinkost- und Delikatessengeschäften anzubieten. Das Internet machte ihm dann das Leben leichter.

Rund 12.000 Gänse werden auf dem Hof im Jahr aufgezogen. Eigentlich ist es ein vergleichsweise angenehmes, aber auch kurzes Gänseleben. Keine Gans wird älter als 24 Wochen. Alle Tiere werden auf dem Hof geschlachtet. Kein Transport bedeutet: weniger Stress. Früher wurden alle in Deutschland verzehrten Gänse auch in Deutschland großgezogen. Doch das ist lange her. Derzeit liegt die Eigenversorgung bei etwa 15 bis 20 Prozent. Der Rest wird importiert, auch aus Ländern wie Ungarn, in denen die Stopfleberproduktion nicht verboten ist – in Deutschland gilt diese Praxis der Zwangsernährung als Tierquälerei. Trotzdem kaufen die Leute im Supermarkt auch diese Gänse, sagt Johann-Michel Claßen. „Es geht oft über den Preis, ein Riesenproblem.“

Auch das Lebendrupfen ist hierzulande nicht erlaubt, wird aber beispielsweise in China noch praktiziert. Auf dem Bakumer Hof muss keine Gans zu Lebzeiten Federn lassen. Hier werden die Tiere erst nach der Schlachtung gerupft, und das auch nur von Hand, damit die wertvolle Feder keinen Schaden nimmt. Mit den Daunen füllt ein Bettenhaus in Oldenburg seine hochwertigen Decken und Kissen. Das Kerngeschäft bleibt jedoch die Gans. Gut möglich, dass sich auch die Kanzlerin schon eine Lieferung aus Bakum hat munden lassen. Natürlich kommt auch bei den Claßens selbst das hauseigene Produkt auf den Tisch, an Heiligabend zum Beispiel  „immer eine 4,5 Kilo-Gans“. Und was isst Johann-Michel Claßen sonst am liebsten? Döner! Und auch gern mal Fisch.

Verbund Oldenburger Münsterland e.V.

Diekmanns Esch 13
49377 Vechta
Telefon: +49 (0) 4441 / 95650

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